“Ich wäre gerne geachtet.“

Wenn die einzige Entwicklung, die Kinder durchleben, die Größe des Hammers ist

Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie viele Kinder eigentlich für Sie arbeiten? Mehr als 73 Millionen Kinder sind weltweit den schlimmsten Formen von Kinderarbeit ausgesetzt. Wir alle wissen darüber, aber wirklich verantwortlich für einen Wandel fühlen sich dennoch kaum Menschen. Benjamin Pütter, Kinderrechtsexperte im Kindermissionswerk ,Die Sternsinger’, war 88 mal in Indien, hat vor Ort das oft auch durch die lokale Regierung abgeschirmte Schicksal der arbeitenden Kinder gesehen und musste mit der Angst leben, umgebracht zu werden, weil er die dunkle Wahrheit der zum Arbeiten verurteilten Kinder an die Öffentlichkeit gebracht hat. Am 8.11.2019 berichtete er am OHG den zehnten Klassen und der Kursstufe 1 von seinen Erlebnissen in einem der einwohnerstärksten Ländern des Planeten.

Täglich begegnen uns Produkte der Kinderarbeit: Die besonders preisgünstigen Metallscheren und Spiegel im Freiburger Hauptbahnhof, A-Nadum-Instruments im Karlsruher Hauptbahnhof, die Kinder, die uns am Strand Sonnenbrillen verkaufen und die Grabsteine unserer Liebsten. Während Kinder in vielen Ländern der Erde für unseren Luxus unter menschenunwürdigen Bedingungen schuften, geht es in unserer heutigen Konsumgesellschaft nur noch um das “billiger”, “schneller” und “besser”.
Doch was ist Kinderarbeit denn wirklich, und warum existiert sie noch immer? Kinderarbeit ist jegliche Arbeit von Kindern unter 15 Jahren, die unfreiwillig, gegen das Kindeswohl und ohne Gleichberechtigung hinsichtlich der Arbeitsrechte verrichtet wird. Kinder gelten als eigene Persönlichkeiten und müssen deshalb auch Recht auf eine Kindheit und Bildung haben. Diese Bestimmungen wurden von der UN als Kinderrechte verabschiedet und von allen Ländern außer den USA unterzeichnet, da diese nicht auf die Rekrutierung minderjähriger Soldaten verzichten wollten. Obwohl die Länder durch ihre Unterschrift sozusagen bestätigen, auf Kinderarbeit zu verzichten, ist sie alles andere als abgeschafft. Es ist nun einmal Fakt, dass Kinder billigere Arbeitskräfte sind und daher einem Konzern ein höherer Gewinn durch die Unterbezahlung der Kinder garantiert ist. Der große, kaum überwindbare Spalt zwischen Arm und Reich zwingt die meisten Familien noch heute, ihre Kinder zur Arbeit zu schicken, um das Überleben und die Ernährung der Familie zu sichern. Hinzu kommt, dass meistens die Väter der Familie, die normalerweise das Geld verdienen, abwesend sind, in die Stadt geflüchtet sind, um zu arbeiten, oder ein neues Leben anfangen wollen. Schlimmer ist es noch, wenn die Väter anwesend sind und es zu Missbrauch kommt oder missbrauchte Mütter mit ihren Kindern auf sich gestellt sind. Aufklärung wird in Entwicklungsländern klein geschrieben, Bildung ist oft nicht erreichbar, da Schulen entweder gar nicht existieren, sehr schlecht oder nicht in dem Budget der Familie liegen. Aber das wohl größte Problem ist die Kultur mit dem so genannten Kastensystem, einer Hierarchie aus Priestern, Fürsten, Händlern, Handwerkern und Kastenlosen. Von den oben lokalisierten Gesellschaftsgruppen wird es als normal angesehen, die weiter unten in der Hierarchie liegenden “Kastenlosen” auszubeuten, darunter auch Kinder.
Die Schicksale der Kinder sind verschieden, doch was sie alle verbindet sind die Arbeitsbedingungen. Herr Pütter zeigte uns Bilder von Kindern mit einer halben Hand, weil es beim Komprimieren von Schwarzpulver mit einem Eisenhammer zur Explosion kam und ein Teil der ungeschützten Hand dann verletzt wurde. Zwei andere Kinder sind taub, weil sie Presslufthammerarbeiten ohne Ohrenschutz erledigen. Sie sind aber auch zu zweit zu schwach, um mit dem Gerät ein Loch zu bohren und deshalb beschweren sie den Hammer mit schweren Steinen. Ein weiteres Kind arbeitet 1000 km weit weg von der Familie, verletzt sich und blutet. Das einzige, was den Arbeitgeber kümmert, ist, dass sein Teppich nicht verschmutzt wird. Kurzer Hand greift er zum Schwefel, der Junge schreit, aber die Blutung ist gestoppt. Kinder arbeiten ohne Mundschutz oder Schutzbrille in Steinbrüchen. Normalerweise ist es wichtig, bei Steinarbeiten das Material feucht zu halten, um größere Staubbildung zu vermeiden, aber von Wasser war laut Pütter keine Spur. Auch mit giftigen Dämpfen und Substanzen wird ohne Schutzkleidung gearbeitet.
Es ist wirklich erschreckend, was die Kinder durchmachen. Benjamin Pütter hat die Initiative ergriffen und die gewalttätigen und unfairen Arbeitgeber verklagt. Im Bereich der Teppichindustrie gab es zunächst für einige Jahre Erfolge, aber inzwischen ist der Schutz für Kinder hier wieder eingebrochen. Grund ist, dass das Interesse für Fairtrade-Siegel verloren geht und die Händler wieder zu alten Mitteln der Ausbeutung greifen. So wird die Kinderarbeit verleugnet und selbst von der Regierung vertuscht. Der Kinderrechtsaktivist merkt, dass noch weitere Herangehensweisen gefordert sind und engagiert sich bei der Finanzierung des Baus von Schulen, um am Ursprung des Problems zu handeln. Aber was wir alle gegen die Kinderarbeit tun können, ist fair einzukaufen, sich zu informieren und sich darüber im Klaren zu sein, dass 89% aller Pflastersteine in Deutschland aus Kinderarbeit stammen. Es ist ein Privileg, dass wir nicht schon im Alter von 10 Jahren heiraten müssen, um finanziell abgesichert zu sein und eine Lebenserwartung von mehr als 30 Jahren haben. Es ist nicht allzu schwer, keine Produkte bei Kindern am Strand zu kaufen oder auf ein Siegel zu achten, das den Verzicht von Kinderarbeit garantiert. Zwischendurch kann man auch an das Wohl der anderen denken und etwas Geld spenden. Es war unglaublich lehrreich Benjamin Pütter zuzuhören und vor allem hat es uns angeregt, unser “normal” in Frage zu stellen.

A. Zabler und M. Streichsbier (KS 1, SJ 2019/2020)